Freitag, 19. Juli 2013

Heute so, morgen so

Seit einiger Zeit geht das schon so: In den Medien werden die Tage bis zur Bundestagswahl akribisch öffentlich gezählt - mal enttäuscht, mal drohend. Dann wieder hat man den Eindruck, als schwinge Erleichterung mit, dass alles bald vorbei ist. Die Vorwahlzeit wird gerne als Periode des Wahlkampfes bezeichnet. Sie soll nach Lehrbuchmeinung eine Phase des Abwägens, oder auch des Ringens um die jeweils besten politischen Programme sein. Derzeit kann davon kaum die Rede sein. Welcher Wahlkampf – oder habe ich etwas verpasst? Statt die Vorstellungen der einzelnen Bewerber zu den Zukunftsthemen ins Zentrum der Debatte zu stellen, gibt es häufig nur Einblicke in die innerparteiliche Streitkultur und Hofberichterstattung im BUNTE-Stil. Hochkonjunktur haben Fettnapfstatistiken und die üblichen Koalitionsspielereien für den Tag danach. Peerpsychogramme und Muttiwitze statt notwendiger politischer Auseinandersetzung. Kürzlich wurde ich von unerwarteter Seite daran erinnert, dass doch Wahlzeit ist. Ein Mitarbeiter eines überregionalen Hörfunksenders hatte sich vor einiger Zeit für ein Interview "150 Jahre SPD" angemeldet. Auf meine Nachfrage, wann er denn mit seinem Aufnahmegerät zu kommen gedenke, mailte er zurück: Die Redaktion habe das Thema auf 2014 verschoben, weil man sich nicht „zum Steigbügelhalter für den Wahlkampf“ machen wolle – „151 Jahre SPD“?

Seit es den Anschein hat, als wickelte die amtierende Bundeskanzlerin den laufenden Politikbetrieb über eine Hüpfburg in der Kleingartenanlage ab, gleicht die Arbeit für den Kleinen Mann nebst Kleiner Quotenfrau zu Lande, zu Hochwasser und in der Luft einem Blick in die Wundertüte. Warum bloß fühlt man sich an einen Schlager Roberto Blancos von 1969 erinnert: "Heute so, morgen so"? In den begleitenden Medien heißt es nur, die Clevere räume geschickt alle Themen ab, bzw. setze sich auf alle drauf und mache sie damit platt.

Aber vielleicht habe ich nur noch nicht gelernt, dass die Wahl längst entschieden, der psychologische Krieg gegen die Reste der Opposition medial schon gewonnen ist. Jedenfalls scheint das auch der Berliner Tagesspiegel so zu sehen. Vor 14 Tagen hat dort einer der Mitherausgeber - gestützt auf das Meinungsumfrageunwesen - Angela Merkel bereits ultimativ zur Wahlsiegerin und den "ewig-poltrigen" Peer Steinbrück als gesetzten Verlierer ausgerufen. Denn es sei "zu spät für die Wende". Nach dieser Lesart wäre die Bundestagswahl reine Verschwendung öffentlicher Gelder, ein Fall für den Bundesrechnungshof. Damit erübrigte sich auch die Debatte um das Thema Wahlboykott als Erziehungsprogramm für die real existierenden Parteien. Der omnipräsente Karl Lagerfeld hat diese Streitfrage übrigens längst abschließend beantwortet. In einem Interview bekannte er frank und frei, er habe in seinem Leben noch nie an politischen Wahlen teilgenommen. Noch Fragen zur Demokratie oder so?

Beim Blick auf das Dauerbombardement der Meinungsmacherbefragungsinstitute und ihrer Klientel drängt sich ein Vergleich mit den Millionen Fliegen auf, die sich bekanntlich auch nicht irren können. Die der Opposition unisono attestierte Niederlage eröffnet jedoch ganz neue Perspektiven, befreit von rituellen Zwängen des politischen PingPong. So hat kürzlich Heribert Prantl in der Süddeutschen erklärt, dass gegen alle Beschwörungen von interessierter Seite in Wahrheit noch gar nichts entschieden sei, der Kampf um jeden Strandkorb sich durchaus noch lohne.

Klaus Staeck

(Erschienen als Kolumne in der BZ und FR am 18. Juli 2013)

Aktion für mehr Demokratie


von
Klaus Staeck
und
Johano Strasser

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